Meine Texte


Politisch

Politisch zu sein, das hat als Personenbeschreibung nicht die beste Reputation. Wenn man diese Bezeichnung verwendet, sollte man also sagen, was man damit meint. Ich verwende ihn und was ich damit meine, ist vor allem nicht das, was heutzutage auch Aktivist genannt wird: Sich einer bestimmten Sache oder Gruppe zu verschreiben und deren Interesse et pereat mundus zu befördern. Aktivismus kann je nach Objekt eine negative Reputation haben (Lobbyisten) oder eine positive (Umweltschützer), es ist für mich aber nicht politisch. Aktivismus ist einfach. Für Aktivisten ist immer klar erkennbar, was richtig und was falsch, was gut und was böse ist. Applaus gibt es immer mindestens von den Gleichgesinnten. Politisch zu sein, das ist sehr viel schwerer.

Politisch zu sein, das heißt für mich, sich zum Teil des Prozesses zu machen, dem es um das Gemeinwohl geht. Und das in einer Welt, in der Gesellschaft immer diffuser wird, und was Gemeinwohl ist immer schwerer zu greifen. Der konkrete Inhalt des Gemeinwohls entsteht erst im politischen, demokratischen Prozess. Politisch zu sein heißt, nicht eine einzelne Sache et pereat mundus zu befördern, sondern alle Sachen in Ausgleich zu bringen, Kompromisse einzugehen und diese als richtig und klug zu verteidigen. Das ist schwer, dafür gibt es keinen Applaus, aber ohne Menschen, die sich geduldig und tapfer darauf einlassen, gibt es keine Gesellschaft.

Geschrieben im November 2024 | Kategorie: Betrachtungen

Konflikttheorie

In der Management-Literatur werden Konflikte im mittleren Management im Wesentlichen in divergenten Mikrozielen begründet gesehen. Von außen beobachtet, mag man fast jede Auseinandersetzung unter Managern so klassifizieren können, die Praxis ist aber meist deutlich banaler. Zwei Konfliktkategorien können den divergenten Mikrozielen vorgelagert werden.

Vielfach bleiben vermutete Konflikte deswegen ungelöst und verselbständigen und verstärken sich dann über die Zeit, weil schlicht überhaupt nicht miteinander gesprochen wird. Organisationsstrukten in Unternehmen sind oft so gebaut, dass Teams, die zumindest zeitweise zusammenarbeiten müssen, in unterschiedlichen Berichtslinien organisiert sind, folglich wird nur dann miteinander gesprochen, wenn es mindestens einer der Akteure darauf anlegt. Dazu neigt aber nicht jeder Manager. Treffen zwei Manager dieses Typus aufeinander, können sich selbst einfach zu lösende Konflikte bei eigentlich gleichlaufenden Mikrozielen lange halten.

Selbst wenn miteinander gesprochen wird und die Mikroziele unerkannt gleichlaufend sind, heißt das nicht automatisch, dass die Kommunikation gelingt. In der Rechtsabteilung wird eine andere Sprache gesprochen als in der Produktion, im Vertrieb eine andere als in der Revision. Dass alle der gleichen Organisation angehören, mag darüber täuschen, wie hoch die Sprachbarriere ist. Kommunikation bleibt unwahrscheinlich (Luhmann), gerade dann, wenn nur sporadisch miteinander kommuniziert wird. Tritt dann noch hinzu, dass mangels ausreichend Zeit auf beiden Seiten nicht nur das Verständnis für das jeweilige Gegenüber nur begrenzt ist sondern zusätzlich auch das Verständnis des Problems als solchem, wird geradezu wahrscheinlich, dass die Kommunikation scheitert.

Erst hiernach – und die meisten Konflikte sind in diesen beiden Kategorien schon passend verortet – bleibt ein Rest, der wiederum vielfach wirklich auf divergente Mikroziele, die entweder aus dem System vorgegeben oder persönlich gesetzt sind, zurückgeht. Die gute Nachricht ist: Während das Überwinden der Konflikte dieser Art oft nur durch das Eingreifen höherer Ebenen gelöst werden kann, sind Konflikte der beiden eben genannten Kategorien meistens – mit etwas gutem Willen und etwas mehr Einsatz – recht sicher lösbar.

Geschrieben im Oktober 2024 | Kategorie: Unternehmenskultur

Mangel an Amtsautorität

Karrierepfade ins Management gibt es viele. Traditionell befördern Unternehmen diejenigen ihrer Mitarbeiter zu Managern, die über große fachliche Fähigkeiten und besondere Kontakte zu wichtigen Geschäftspartnern verfügen und beides, das fachliche und das kundenzentrierte, im Interesse des Unternehmens einzusetzen wissen. Hinzu treten modernerweise allerdings Manager, die in ihre Rolle deswegen befördert werden, weil bei ihnen besondere Fähigkeiten der Personalführung erwartet werden. Das mag auf den ersten Blick recht vernünftig erscheinen: Der Job des Managers ist im Schwerpunkt weniger ein fachlich-kundenzentrierter als vielmehr das Führen von Mitarbeitern der eigenen Organisation, also ein mitarbeiterzentrischer. Den Nachwuchs für diese Positionen nach den vermuteten Fähigkeiten in dieser spezifischen Aufgabe auszuwählen, erscheint naheliegend.

In der Praxis gibt es allerdings ein Problem: Amtsautorität wird nur denen von ihren Mitarbeitern zugestanden, die sich fachlich und kundenzentriert ausgezeichnet haben – nicht denen, deren Fähigkeiten primär mitarbeiterzentrisch sind: Microsoft hat einmal ausprobiert, Programmierer von Managern ohne IT-Skill führen zu lassen, funktioniert hat das nicht [1]. Programmierer ignorieren Vorgesetzte, die ihre Leistungen sowieso nicht beurteilen können. Und auch wenn der Leiter der Rechtsabteilung nicht der beste Jurist für jedes juristische Fachgebiet sein muss, niemand käme auf die Idee, einen Nicht-Juristen für diesen Job einzustellen (oder einen Juristen, den die Kollegen für einen schwachen Advokaten halten) – vermutlich zurecht. Strukturierte Untersuchungen zeigen ebenfalls, dass Managern ohne fachlich-kundenzentrierte Fähigkeiten von den Mitarbeitern keine Amtsautorität zugestanden wird [2].

Wenn aber aufgrund ihrer mitarbeiterzentrischen Fähigkeiten ausgewählte Manager letztlich in der Mitarbeiterführung mangels zugestandener Amtsautorität – und damit in den meisten Fällen mangels jeder Autorität – schlicht nicht funktionieren, dann ist dieser Ansatz der Managerselektion trotz seiner aktuellen Beliebtheit ein Irrweg.

Geschrieben im Oktober 2024 | Kategorie: Unternehmenskultur

»Der Tanz auf dem Vulkan«

Marie Vieux' »Der Tanz auf dem Vulkan« ist in vielerlei Hinsicht ein eindrucksvolles Buch. Literarisch eine Identifikation mit Sklaven und ihrem Leid so zu ermöglichen, eine Identifikation mit ihrer durch und durch beklemmenden Lage – das habe ich in der Form nicht einmal bei Turgenjew gefunden. Auch Wochen, nachdem das Buch zu Ende gelesen ist, verfolgen mich Gedanken. Einen will ich herausgreifen.

Wer Sklaven besitzt, bedarf einer Ideologie, die es ihm ermöglicht, Sklaven als etwas anderes als sich selbst, als etwas minderwertiges zu beschreiben. Sonst lässt es sich nicht aushalten, jeden Tag zu sehen, wie Sklaven in der Straße geprügelt werden. Rassismus mit einer Abgrenzung von überlegender weißer und unterlegener farbiger Rasse oder überlegenen rechtgläubigen Muslimen und unterlegenen Ungläubigen, ist eine schlichte Notwendigkeit, um eine Gesellschaftsordnung, die auf Sklaverei basiert, zu stabilisieren, auch wenn Vieux mit Überzeugungskraft erzählt, wie auch freigelassene Farbige sich in die ökonomische Ordnung als nicht minder grausame Sklavenbesitzer einordnen wollen und einordnen, wenn auch erst kurz vor dem Zusammenbruch dieser Ordnung und womöglich auch als bedeutsamer Schritt in diese Richtung. Doch was alle Sklavenhalter bei Vieux gemeinsam haben: Sie sehen in ihren Sklaven mehr Tier als Mensch. Bis deutlich über die Grenze der Dummheit hinaus sprechen die Sklavenhalter ihren Sklaven die Fähigkeit zum strategischen Denken ab. Einmal nach einem Fluchtversuch ordentlich geprügelt und schon könne man die eigene Tochter gefahrlos mit den Sklaven allein auf Reisen schicken – was natürlich so endet, wie wir es aus einigem Abstand erwarten: Mit erneuter Flucht, aber erst nach Rache an der Tochter.

Ausnahmslos jeder Mensch ist zum strategischen Denken in der Lage. Doch gerade im modernen Opferdiskurs wird das gerne vergessen, der Mensch wird wieder – das Muster hat anscheinend aus schrecklicheren Zeit überlebt – als minderwertiges Geschöpf gesehen, das nur Reaktion-Gegenreaktion kennt, also ohne die Fähigkeit ist, abzuwarten, den Moment zu nutzen, die Dinge miteinander auszuspielen und an einem einmal gefassten Willen auch bei Körperstrafe und Todesdrohung festzuhalten. Auch dem Gegner wird diese Fähigkeit, die einen erst zum gleichwertigen Menschen macht, gerne einmal abgesprochen. Das ist nicht bloß dumm – das ist, wie man bei Vieux lernen kann, auch gefährlich und selbstgefährend dumm.

Geschrieben im Juli 2024 | Kategorie: Bücher

Dazwischensabbeln

Eigentlich sind sich die Militärs schon einig: »Roter Oktober« muss versenkt werden. Zu groß sei die Gefahr, die in Zeiten des kalten Krieges von diesem neuartigen U-Boot der Sowjets ausgeht, und zu eindeutig steht fest, dass sein Kapitän Marko Ramius (Sean Connery) ein Verrückter sein muss. Da haut Dr. Jack Ryan (Alec Baldwin), als einfacher Analyst Gast im Meeting der Generäle, im Überschwang fluchend auf den Tisch: Überlaufen! Ramius wolle zu den Amerikanern überlaufen. Das wäre ein Schlag für die Sowjets. Direkt wäre die neue Technologie wieder unschädlich gemacht. Und schon wenige Sätze später befindet Ryan sich in einem Militärhubschrauber auf dem Weg mit der »Roter Oktober« Kontakt aufzunehmen. Natürlich, wir sind im amerikanischen Kino: nach dramatischem Auf und Ab, einem Bluff und einem erneuten Verrat gelingt es ihm, das U-Boot und seinen Kapitän nach Amerika zu lotsen. Angefangen hat das alles mit einem rebellischen Dazwischensabbeln.

Es kann aber auch anders laufen: Für Don Vito Corleone (Marlon Brando) in »Der Pate« steht fest, dass seine Familie nicht in den Drogenhandel einsteigen wird. In dieser Klarheit teilt er das der Tattaglia-Familie mit. Doch wieder wird dazwischengesabbelt: Sein Sohn Sonny (James Caan) widerspricht offen noch während des Meetings. Deutlich wird: Die Corleone-Familie steht in diesem Thema nicht geschlossen. Das löst die Kette der Ereignisse aus: Don Corleone kostet ein Mordanschlag fast das Leben, denn sofort schlägt die Tattaglia-Familie los, im weiteren Gemetzel sterben viele, darunter der Problemverursacher Sonny. Und auch das hat angefangen mit einem rebellischen Dazwischensabbeln.

Fernsehen und Film ermöglichen Kindern den heimlichen Blick in die sonst verschlossene Welt der Erwachsene und Meetings fallen womöglich in deren noch für Studenten unverständlichsten Teil: In Meetings in ihrer merkwürdigen, ritualisierten Form soll über das Schicksal der Welt entschieden werden? Da muss man doch geradezu Rebell sein und dazwischensabbeln. »Roter Oktober« und »Der Pate« verraten einem: Das kann die Sache zum guten Wenden – aber auch zum schlechten. Auf jeden Fall werden die Einsätze erheblich erhöht.

Geschrieben im Februar 2024 | Kategorie: Film & Theater