MEINE TEXTE


Phantasie

Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist, dass wir geworden sind, was wir sind. Wir entstehen erst aus den Erfahrungen, die wir gemacht haben. Hätten wir nicht diese, sondern anderes erlebt, wir wären nicht, wer wir sind. Alles, was wir tun, verändert uns. Deswegen stellt sich auch permanent die Frage, ob das, was man gerade tut, einen näher an das Ideal bringt, das man von sich selbst hat, oder ob es einen weiter davon entfernt und es Zeit wird, innezuhalten. Das gilt vor allem auch für den Beruf. Der gewählte Beruf formt den Menschen. Man kann nicht Jahrzehnte als Buchhalter, Lehrer oder Landwirt arbeiten, ohne Buchhalter, Lehrer oder Landwirt zu werden.

Was kostet einen die Managementkarriere? Vor allem die Phantasie. In einer Welt, in der kurzfristige, greifbare Ergebnisse gefordert sind und Pläne, diese zu erreichen, leidet die Vorstellungskraft. Je länger der Manager Manager ist, desto mehr gleicht selbst das, was als Vision inszeniert wird, dem, was sowieso schon auf der Hand liegt. Für mehr reicht die Phantasie nicht mehr. Sowieso ist Phantasie zu haben gefährlich. In einem Umfeld, in dem alle anderen nach kurzfristigen, greifbaren Ergebnissen suchen, ist der Phantast nicht nur nicht anschlussfähig, er stört den optimierten Ablauf.

Was bleibt? Der tägliche Kampf, sich seine Phantasie zu erhalten. Anders geht es nicht.

Geschrieben im Juli 2025 | Kategorie: Unternehmenskultur

Sprachverständnis

Verdächtigungen gegenüber dem, was althergebracht ist, bilden eines der wesentlichen Motive der Gegenwart. Und so trifft es auch die deutsche Sprache, die für Verdächtigungen vermeintlich Anlass bietet, gerade wenn das Verständnis ihrer an Grenzen stößt. Denn sie ist nun einmal asymmetrisch: Es gibt für viele Substantive und die dazugehörigen Pronomen eine generische und eine weibliche Form, aber keine explizit männliche Form. Dass im allgemeinen Sprachgebrauch die generische Form dominiert, ist kein Zufall: Nur in den seltensten Fällen soll doch mit einem Substantiv auch das biologische Geschlecht des Bezeichneten mitgeteilt werden. Man braucht einen Arzt, Handwerker oder Helfer, das biologische Geschlecht ist meist irrelevant. Nur sehr selten ist es überhaupt von Bedeutung (»Olympiasieger der Frauen«, »männlicher Briefmark«). Die deutsche Sprache macht es dann deutlich einfacher das weibliche Geschlecht mitzuteilen (»Ärztin«) als das männliche (»männlicher Arzt«) – eine Asymmetrie, die sich auch deswegen erfolgreich durch die Jahrhunderte getragen hat, weil das Kommunizieren des biologischen Geschlechts eben wirklich nur so selten notwendig ist.

Dass mangelndes Sprachverständnis aus der generischen Form eine männliche machen möchte, also da, wo es »Mitarbeiterinnen« gibt, »Mitarbeiter« nur männlich sein können, nimmt der deutschen Sprache ihre Konsistenz. Denn wird »Mitarbeiter« nun rein männlich, gibt es auf einmal keine generische Form mehr. Kommunikation ohne Mitteilung des Geschlechts wird unmöglich. Dieses Vorgehen macht zusätzlich klassische Literatur unverständlich. Zu Zeiten Goethes war der »Arzt« zwar meistens biologisch männlich, das Wort als solches aber weiterhin indifferent bezüglich des biologischen Geschlechts. Ein anderes Leseverständnis bringt einen um die Freude am Lesen.

Was also tun zur Verteidigung der Sprache? Mehr Deutschunterricht in der Schule ist vermutlich sowieso eine gute Antwort. Es geht aber noch mehr: Denn dann, wenn das biologische Geschlecht der Bezeichneten wirklich egal ist, sollte man – entgegen der bei vielen eingeschliffenen Mode – keine geschlechtsmarkierten Formen verwenden. »Liebe Kolleginnen und Kollegen« verursacht den Zweifel, ob »Kollegen« wirklich generisch gemeint ist. Und ein weiblicher Arzt ist auch eine Ärztin, aber wenn ihr biologisches Geschlecht irrelevant ist, dann ist die Bezeichnung »Arzt« doch genauso informativ.

Geschrieben im November 2024 | Kategorie: Betrachtungen

Politisch

Politisch zu sein, das hat als Personenbeschreibung nicht die beste Reputation. Wenn man diese Bezeichnung verwendet, sollte man also sagen, was man damit meint. Ich verwende ihn und was ich damit meine, ist vor allem nicht das, was heutzutage auch Aktivist genannt wird: Sich einer bestimmten Sache oder Gruppe zu verschreiben und deren Interesse et pereat mundus zu befördern. Aktivismus kann je nach Objekt eine negative Reputation haben (Lobbyisten) oder eine positive (Umweltschützer), es ist für mich aber nicht politisch. Aktivismus ist einfach. Für Aktivisten ist immer klar erkennbar, was richtig und was falsch, was gut und was böse ist. Applaus gibt es immer mindestens von den Gleichgesinnten. Politisch zu sein, das ist sehr viel schwerer.

Politisch zu sein, das heißt für mich, sich zum Teil des Prozesses zu machen, dem es um das Gemeinwohl geht. Und das in einer Welt, in der Gesellschaft immer diffuser wird, und was Gemeinwohl ist immer schwerer zu greifen. Der konkrete Inhalt des Gemeinwohls entsteht erst im politischen, demokratischen Prozess. Politisch zu sein heißt, nicht eine einzelne Sache et pereat mundus zu befördern, sondern alle Sachen in Ausgleich zu bringen, Kompromisse einzugehen und diese als richtig und klug zu verteidigen. Das ist schwer, dafür gibt es keinen Applaus, aber ohne Menschen, die sich geduldig und tapfer darauf einlassen, gibt es keine Gesellschaft.

Geschrieben im November 2024 | Kategorie: Betrachtungen

Konflikttheorie

In der Management-Literatur werden Konflikte im mittleren Management im Wesentlichen in divergenten Mikrozielen begründet gesehen. Von außen beobachtet, mag man fast jede Auseinandersetzung unter Managern so klassifizieren können, die Praxis ist aber meist deutlich banaler. Zwei Konfliktkategorien können den divergenten Mikrozielen vorgelagert werden.

Vielfach bleiben vermutete Konflikte deswegen ungelöst und verselbständigen und verstärken sich dann über die Zeit, weil schlicht überhaupt nicht miteinander gesprochen wird. Organisationsstrukten in Unternehmen sind oft so gebaut, dass Teams, die zumindest zeitweise zusammenarbeiten müssen, in unterschiedlichen Berichtslinien organisiert sind, folglich wird nur dann miteinander gesprochen, wenn es mindestens einer der Akteure darauf anlegt. Dazu neigt aber nicht jeder Manager. Treffen zwei Manager dieses Typus aufeinander, können sich selbst einfach zu lösende Konflikte bei eigentlich gleichlaufenden Mikrozielen lange halten.

Selbst wenn miteinander gesprochen wird und die Mikroziele unerkannt gleichlaufend sind, heißt das nicht automatisch, dass die Kommunikation gelingt. In der Rechtsabteilung wird eine andere Sprache gesprochen als in der Produktion, im Vertrieb eine andere als in der Revision. Dass alle der gleichen Organisation angehören, mag darüber täuschen, wie hoch die Sprachbarriere ist. Kommunikation bleibt unwahrscheinlich (Luhmann), gerade dann, wenn nur sporadisch miteinander kommuniziert wird. Tritt dann noch hinzu, dass mangels ausreichend Zeit auf beiden Seiten nicht nur das Verständnis für das jeweilige Gegenüber nur begrenzt ist sondern zusätzlich auch das Verständnis des Problems als solchem, wird geradezu wahrscheinlich, dass die Kommunikation scheitert.

Erst hiernach – und die meisten Konflikte sind in diesen beiden Kategorien schon passend verortet – bleibt ein Rest, der wiederum vielfach wirklich auf divergente Mikroziele, die entweder aus dem System vorgegeben oder persönlich gesetzt sind, zurückgeht. Die gute Nachricht ist: Während das Überwinden der Konflikte dieser Art oft nur durch das Eingreifen höherer Ebenen gelöst werden kann, sind Konflikte der beiden eben genannten Kategorien meistens – mit etwas gutem Willen und etwas mehr Einsatz – recht sicher lösbar.

Geschrieben im Oktober 2024 | Kategorie: Unternehmenskultur

Mangel an Amtsautorität

Karrierepfade ins Management gibt es viele. Traditionell befördern Unternehmen diejenigen ihrer Mitarbeiter zu Managern, die über große fachliche Fähigkeiten und besondere Kontakte zu wichtigen Geschäftspartnern verfügen und beides, das fachliche und das kundenzentrierte, im Interesse des Unternehmens einzusetzen wissen. Hinzu treten modernerweise allerdings Manager, die in ihre Rolle deswegen befördert werden, weil bei ihnen besondere Fähigkeiten der Personalführung erwartet werden. Das mag auf den ersten Blick recht vernünftig erscheinen: Der Job des Managers ist im Schwerpunkt weniger ein fachlich-kundenzentrierter als vielmehr das Führen von Mitarbeitern der eigenen Organisation, also ein mitarbeiterzentrischer. Den Nachwuchs für diese Positionen nach den vermuteten Fähigkeiten in dieser spezifischen Aufgabe auszuwählen, erscheint naheliegend.

In der Praxis gibt es allerdings ein Problem: Amtsautorität wird nur denen von ihren Mitarbeitern zugestanden, die sich fachlich und kundenzentriert ausgezeichnet haben – nicht denen, deren Fähigkeiten primär mitarbeiterzentrisch sind: Microsoft hat einmal ausprobiert, Programmierer von Managern ohne IT-Skill führen zu lassen, funktioniert hat das nicht [1]. Programmierer ignorieren Vorgesetzte, die ihre Leistungen sowieso nicht beurteilen können. Und auch wenn der Leiter der Rechtsabteilung nicht der beste Jurist für jedes juristische Fachgebiet sein muss, niemand käme auf die Idee, einen Nicht-Juristen für diesen Job einzustellen (oder einen Juristen, den die Kollegen für einen schwachen Advokaten halten) – vermutlich zurecht. Strukturierte Untersuchungen zeigen ebenfalls, dass Managern ohne fachlich-kundenzentrierte Fähigkeiten von den Mitarbeitern keine Amtsautorität zugestanden wird [2].

Wenn aber aufgrund ihrer mitarbeiterzentrischen Fähigkeiten ausgewählte Manager letztlich in der Mitarbeiterführung mangels zugestandener Amtsautorität – und damit in den meisten Fällen mangels jeder Autorität – schlicht nicht funktionieren, dann ist dieser Ansatz der Managerselektion trotz seiner aktuellen Beliebtheit ein Irrweg.

Geschrieben im Oktober 2024 | Kategorie: Unternehmenskultur