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Betrachtungen
Die Tragik des Milton Friedman
Milton Friedman gehört zu den wenigen Intellektuellen, denen ich in Managementausbildung und Unternehmenstrainings mehrfach begegnet bin. Ich glaube sogar, ohne das sicher sagen zu können, er ist bisher der einzige. Leider – und das ist die erste Tragik – jedes Mal als Zerrbild.
Natürlich geht es immer um seine Haltung zur sozialen Verantwortung von Unternehmen. Die Tragik beginnt, weil schon sein Kernargument verpasst wird: Natürlich schreibt Friedman, dass schon (1) die dürftige Definition von »sozialer Verantwortung« Debatten verunmöglicht. Und recht hat er vermutlich auch damit, dass (2) viele Unternehmen wirtschaftlich-motivierte Vorhaben einfach unter diese Überschrift stellen, also sozusagen schummeln. Dass (3) angestellte Manager auf Kosten ihrer Eigentümer persönlich als Wohltäter dastehen wollen – also das klassische Principal-Agent-Problem – stimmt vermutlich ebenfalls. Aber Friedmans wichtigster Punkt ist ein anderer. »Capitalism and Freedom«, das Buch, in dem er seine Gedanken dazu ausbreitet, handelt vor allem von der Freiheit. Friedman ist vor allem Parteigänger der Freiheit, also dass Interaktionen, Zusammenarbeit und Geschäfte auf der Freiwilligkeit der beteiligten Individuen basieren. Diese Freiheit sieht er im Wirtschaftssystem am besten verwirklicht und diese verteidigt er deswegen dort mit Leidenschaft.
Das Hauptproblem, das Friedman mit sozialer Verantwortung von Unternehmen, die über wirtschaftliche Ziele hinaus geht, sieht, ist die Gefahr, dass bestimmte Ansätze einer sozialer Verantwortung die Sphäre der Freiheit, die Wirtschaft, politisieren. Politische Systeme aber treffen verbindliche Entscheidungen, an die sich jeder zu halten hat, ob er zustimmt oder nicht. Das politische System beruht zwingend nicht auf Freiwilligkeit.
Man kann über Friedmans Argument streiten. Aber eins ist unbestreitbar: Dass sich der Alltag und die Wirtschaft seit Friedmans Zeiten politisiert hat. Das ist die zweite Tragik: Wenn Postmoderne heißt, dass die unterschiedlichen Subsysteme der Gesellschaft aufeinander übergreifen, es also zu einer Verrechtlichung außerhalb des ursprünglichen Rechtssystem, zu einer Verwirtschaftlichung außerhalb des wirtschaftlichen Raumes und eben auch zu einer Politisierung des ganzen Lebens kommt – und da gibt es, glaube ich, heute wenig Widerrede – dann ist für Friedman wirklich nur noch als Zerrbild Platz im Diskurs. Er verteidigt dann eine politikferne Freiheit in der Wirtschaft, die längst verloren gegangen ist.
Geschrieben im Februar 2021 | Kategorie: Betrachtungen
Die scheinbare Macht des Geldes
Es führt in die Irre, wenn man die Macht von Einzelpersonen oberflächlich aus bestimmten Ämtern oder Vermögen ableitet, aber die in der Realität vorliegenden Beschränkungen ignoriert. Formal ist die Bundesverteidigungsministerin die Oberbefehlshaberin von 200.000 schwer bewaffneten Soldaten. Oberflächlich betrachtet ist das mehr als genug Macht, um die Kontrolle im Land an sich zu reißen. In der Realität unterliegt der Oberbefehl aber erheblichen Beschränkungen: Er kann nur in sehr begrenzter Hinsicht ausgeübt werden – im Rahmen der Gesetze, soweit die Soldaten folgen und soweit Bundeskanzlerin, Bundestag und Öffentlichkeit die konkrete Ausübung zumindest dulden. In der echten Welt ist mit dem oberflächlich mächtig erscheinenden Oberbefehl also ein nur sehr geringer diskretionärer Gestaltungsraum, ein sehr geringes Maß an realer Macht, verbunden.
Mit großen Akkumulationen von Geld verhält es sich ähnlich: Blackrock verwaltet zwar mit mehr als sechs Billionen(!) Dollar, ein Vermögen, das einem Vielfachen des jährlichen Staatsbudgets Deutschlands entspricht. Allein: Der Großteil das Geldes wurde Blackrock von Anlegern für sogenannte ETF überlassen, also mit einer konkreten Anweisung, nach welcher Verteilung das Geld in welche Unternehmensanteile investiert wird – die Blackrock schlicht gegen eine Gebühr technisch ausführt. Wieder existiert nur ein sehr geringer diskretionärer Gestaltungsraum aus dem heraus Macht ausgeübt werden kann – auch wenn Blackrock sich in der öffentlichen Kommunikation gerne mächtiger darstellt.
Auch der gemeine Milliardär in Westeuropa ist lange nicht so mächtig, wie man sich das vielleicht vom Vermögen her vorstellen mag: Kaufen kann er sich zwar allerlei Luxus, aber vieles geht eben auch nicht. Eine Armee aufstellen und physisch Macht ausüben? Im Rahmen der Gesetze ist das nicht möglich und außerhalb wird der demokratische Rechtsstaat zeigen, wer wirklich die Macht hat. Ganze Landstriche aufkaufen? Versuchen kann man es, aber auch hier wird der Widerstand zügig Grenzen setzen. Politisch Einfluss nehmen? In bestimmtem Maße mag Geld hier helfen, aber selbst, wenn man Milliarden ausgibt, wird man nicht den gleichen Einfluss haben, wie ihn ein charismatischer Parteivorsitzender ausüben würde. Und hier ist noch außer Acht gelassen, dass die deutsche Öffentlichkeit sicherlich sensibel auf den Versuch reagieren würde, sich politische Macht zu kaufen. Mit Verbrechen durchkommen? Alles Geld der Welt bedeutet gar nichts, wenn der bundesdeutsche Staatsanwalt Haftbefehl beantragt und die Polizei an der Türe läutet. Ein Milliardär mag auf dem Papier mächtig erscheinen, in der realen Welt ist er auch nur ein Mitbürger, der sich ziemlich viel Luxus leisten kann.
Geschrieben im November 2019 | Kategorie: Betrachtungen
Endgame Fallacy
Komplexität reduzieren zu können und dadurch Sachverhalte diskutierbar und vor allem Probleme lösbar zu machen, ist eine der Kernfähigkeiten in der Moderne. Es gibt dafür unterschiedliche Tricks und Kniffe. Ein Trick, dem ich immer wieder begegne, bezeichne ich als Endgame-Betrachtung: Manchmal sind Entwicklungen komplex, man kann aber relativ gut beschreiben, was für ein Zustand an deren Ende besteht. Man beschreibe also diesen Endzustand und leite daraus dann Handlungen ab, ohne jedes Zwischenstadium mitdiskutieren zu müssen.
Mit dieser Komplexitätsreduktion geht aber gewöhnlich noch etwas anderes einher: Der Verlust von Zeitlichkeit. Und das ist oft problematisch. Denn meistens spielt es eben doch eine Rolle, ob das Endgame sehr zeitnah oder erst in ferner Zukunft erreicht wird – und vor allem auch, ob man sein Eintreten früher herbeiführt oder hinauszögert.
Ein Beispiel: »In the long run we’re all dead« (Keynes), ist unzweifelhaft richtig. Ob man früher oder später stirbt, ist aber schon nicht unwichtig. »Wenn ich im Endgame eh tot bin, kann ich eigentlich (heute) auch die Nahrungsmittelaufnahme einstellen«, ist daher auch ein offensichtlich depperter Vorschlag. Relativ oft begegne ich allerdings Endgame-Betrachtungen, wo genau so etwas abgeleitet wird.
Man sei also auf der Hut vor dieser Fallacy. Es sei denn, man will betrügen – dafür eignen sich Endgame-Betrachtungen relativ gut...
Geschrieben im Oktober 2019 | Kategorie: Betrachtungen
Aporie des teuren Hochgenusses
Es gibt von einem selbst ausgehende Handlungen, bei denen man, egal wie die Sache endet, nur verlieren kann. Offen im Moment der Ausführung ist ausschließlich, wie sehr man verliert.
Eine solche Handlung ist zum Beispiel, sich wider aller Hemmungen irgendwann doch einmal eine sehr, sehr teure Flasche Wein zu gönnen. Noch am wenigsten verliert man, wenn diese Flasche Wein eine Enttäuschung ist. Man hat dann einige hundert Euro in den Sand gesetzt für ein Vergnügen, das man deutlich billiger auch hätte haben können. Wirklich zur Erkenntnis gelangt, ob teurer Wein sich lohnt, ist man auch nicht. Es könnte ja gerade diese eine Flasche – und nur diese eine – so enttäuschend sein, alle anderen teuren Weine sind vielleicht doch Gottesnektar.
Doch es geht noch schlimmer: Was ist, wenn der teure Wein doch so gut ist, wie es sein Preis erwarten lässt? Dann ist man ruiniert. Denn ab sofort wird kein günstigerer Wein mehr munden. Man muss jetzt wirklich Geld verdienen und ansonsten sparsam leben, um sich regelmäßig den fast unbezahlbaren Genuss zu verschaffen. Und wer weiß: Vielleicht sind noch viel teurere Weine ja noch besser? Vom Glück ist man auf jeden Fall jetzt noch viel weiter entfernt.
Geschrieben im April 2019 | Kategorie: Betrachtungen
Das verborgene Engagement
Es heißt ja dauernd, gerade junge Menschen würden sich immer weniger in Vereinen usw. engagieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Denn wie so vieles hat sich auch dieses Engagement in Teilen ins Internet verlagert und dort neue Formen gefunden – nur der Umgang damit ist immer noch ein anderer.
Dass jemand Kassenprüfer beim örtlichen Kleingärtnerverein ist, findet sich sogar im Lebenslauf, mit dem sich bei einen DAX-Konzern beworben wird (schon gesehen!). Dass aber jemand als Poweruser in einem hochspezialisierten Nischenforum sein Wissen und Können teilt oder dass jemand in der Wikipedia in einem speziellen Themenbereich fast jeden Tag Artikel erstellt und andere verbessert, damit wird außerhalb des Betroffenenkreises doch eher verstohlen umgegangen. Ich warte auf den Tag, an dem ich so etwas zum ersten Mal in Bewerbungsunterlagen entdecke.
Geschrieben im Dezember 2018 | Kategorie: Betrachtungen