Sprachverständnis
Verdächtigungen gegenüber dem, was althergebracht ist, bilden eines der wesentlichen Motive der Gegenwart. Und so trifft es auch die deutsche Sprache, die für Verdächtigungen vermeintlich Anlass bietet, gerade wenn das Verständnis von ihr an Grenzen stößt. Denn sie ist nun einmal asymmetrisch: Es gibt für Substantive und Pronomen eine generische Form, eine weibliche Form, aber keine explizit männliche Form. Dass im allgemeinen Sprachgebrauch die generische Form dominiert, ist kein Zufall: Nur in den seltensten Fällen soll doch mit einem Substantiv auch das biologische Geschlecht des oder der Bezeichneten mitgeteilt werden. Man braucht einen Arzt, Handwerker oder Helfer, dass biologische Geschlecht ist irrelevant. Nur sehr selten ist es Geschlecht überhaupt von Bedeutung (»Olympiasieger der Frauen«, »männlicher Briefmark«). Die deutsche Sprache macht es dann deutlich einfacher das weibliche Geschlecht mitzuteilen (»Ärztin«) als das männliche (»männlicher Arzt«) – eine Asymmetrie, die sich auch deswegen erfolgreich durch die Jahrhunderte getragen hat, weil das Kommunizieren des biologischen Geschlechts eben wirklich nur nur so selten nötig ist.
Dass mangelndes Sprachverständnis aus der generischen Form eine männliche machen möchte, also da, wo es »Mitarbeiterinnen« gibt, »Mitarbeiter« nur männlich sein können, nimmt der deutschen Sprache ihre Konsistenz. Denn wird »Mitarbeiter« nun rein männlich, gibt es keine generische Form – die eigentlich am meisten verwendete – mehr. Kommunikation ohne Mitteilung des Geschlechts wird unmöglich. Dieses Vorgehen macht zudem klassische Literatur unverständlich. Zu Zeiten Goethes war der »Arzt« zwar meistens männlich, das Wort als solches aber weiterhin indifferent bezüglich des biologischen Geschlechts. Ein anderes Leseverständnis bringt einen um die Freude am Lesen.
Was also tun zur Verteidigung der Sprache? Mehr Deutschunterricht in der Schule ist vermutlich sowieso eine gute Antwort. Es geht aber noch mehr: Denn dann wenn das biologische Geschlecht der Bezeichneten wirklich egal ist, sollte man – entgegen der bei vielen eingeschliffenen Mode – keine geschlechtsmarkierten Formen verwenden. »Liebe Kolleginnen und Kollegen« führt in die Irre, ob man »Kollegen« wirklich generisch meint. Und ein weiblicher Arzt ist auch eine Ärztin, aber wenn ihr biologisches Geschlecht irrelevant ist, dann ist die Bezeichnung »Arzt« genauso informativ.